„Die ungeraden bringen nichts Gutes“
… sagte meine Kollegin neulich auf unserer Firmen-Weihnachtsfeier zu mir.
Das 2023 mir nichts Gutes gebracht hat, kann ich so nicht sagen, da ich dieses Jahr immerhin meine kleine Tochter gesund zur Welt gebracht habe. Und wenn ich sie so ansehe, sehe ich in ihr nur Gutes, auch wenn das nicht von Anfang an so war.
Aber zurück zum Anfang – denn unser schwarzer Ball des Unglücks kam schon im Januar 2023 ins rollen.
Um Neujahr herum musste der Vater meines Mannes ins Krankenhaus und mein eigener Vater bekam plötzlich eine Hautkrankheit, bei der niemand richtig wusste, wo genau die nun herkam. Noch bevor mein Schwiegervater aus dem Krankenhaus entlassen wurde, kam auch mein Vater ins Krankenhaus. Mein Sohn hatte zu dieser Zeit den „4-Monats-Sprung“ und war unfassbar anstrengend. Dazu hatte ich ja schon einmal etwas geschrieben.
Ich war trotzdem ziemlich optimistisch ins Neue Jahr gestartet und das „After-Baby-Abnehmen“ lief richtig gut. Dann kam im Februar der Schwangerschaftstest dazwischen und meinen Diätplan habe ich direkt wieder verworfen. Machte aber nichts, nach so langem vergeblichen Versuchen direkt ein zweites Mal schwanger geworden zu sein hat mich hauptsächlich glücklich gemacht. Ein paar Teile meiner Familie waren erstmal mehr schockiert als erfreut, aber das kann ich auch irgendwo nachvollziehen.
Die ersten Monate des Jahres gingen dann doch recht schnell um, und ehrlich gesagt kann ich mich garnicht an viel signifikantes erinnern… ich habe viel Zeit mit meinem Sohn verbracht, der langsam den kleinen Schelm hat blicken lassen, der er jetzt ist. Wir waren viel spazieren, in der Krabbelgruppe und haben gemeinsam die ersten Schritte Richtung Beikost gemacht. Meinem Vater ging es allerdings immer schlechter, da sich aus der Hautkrankheit große Löcher entwickelten, er hatte ein sogenanntes offenes Bein/Ulcus Cruris.
Dann kam der Sommer und eigentlich war geplant, viel im Garten zu machen. Nur leider war das gar nicht so möglich mit einem Baby, welches noch nicht laufen kann, alles in den Mund steckt, aber doch recht gut und schnell krabbel konnte (nachdem nach wochenlangem Weinen endlich eine fähige Physiotherapeutin festgestellt hat, das er eine Blockade hatte und nach einem lauten KNACK! konnte er plötzlich sowohl Sitzen als auch los krabbeln).
Auch traten bei mir immer mehr Schwangerschaftsbeschwerden auf. Ich war schon ab Monat 3 einfach nur kugelrund (der Bauch war eben einmal weich und dehnbar), hatte Atembeschwerden, Ischiasschmerzen und Sodbrennen… und irgendwie bekam ich nur die schlechten Seiten der Schwangerschaft mit, und konnte sie kaum genießen. Dann fing unser Kleiner an zu zahnen und naja, irgendwer hatte dann immer ein Wehwehchen. Auch meine Familie war davon nicht ausgeschlossen, meine Schwester musste sich mehrere Zähne ziehen lassen und die Wunden meines Vaters wurden immer größer und immer öfter schickte der Pflegedienst, der mittlerweile jeden Tag kam, ihn ins Krankenhaus.
Einziger Lichtblick war der August 2023, da in dem Monat mein Mann seinen zweiten Elternzeitmonat genommen hatte und wir an die Ostsee fuhren, um ein paar Tage Urlaub zu machen. Und am 29.08. plante ich eine schöne Party zum 1. Geburtstag von unserem Kleinen. Auch das stand beides wegen den immer häufigeren und längeren Krankenhausaufenthalten meines Vaters auf der Kippe… aber ich war immernoch optimistisch und wollte versuchen, aus allem das Beste zu machen.
Allgemein sagte ich immer wieder, vor allem wenn ich zu Besuch in meiner Firma war, „es könnte alles viel schlimmer sein“.
Dann war der Urlaub vorbei und der September kam. Ich hatte irgendwie das Gefühl, das die Kleine eher kommen wollte und fühlte mich immer unwohler. Bei meinem Vater hatten sie mittlerweile festgestellt, das sowohl Nieren als auch Herz Probleme machten und einfach so, zwischendrin, hatte mein Schwager einen Herzinfarkt. Er lag auf der Intensiv in dem einen Ort, mein Vater auf Station in einem anderen Ort und wir versuchten uns aufzuteilen, so das immer jemand zu Besuch war. Allgemein fuhren wir plötzlich nur noch von Arzt zu Arzt und fast täglich ins Krankenhaus. Mein Schwager bekam zum Glück eine Weste die ihn bei weiteren Herzproblemen wiederbeleben sollte, und die hat ihm dann auch das Leben gerettet, da er nach der Entlassung einen zweiten Herzaussetzer hatte.
Mein Mann musste dann wieder zur Arbeit und das waren die schlimmsten Tage für mich. Ich war hochschwanger mit einem sehr lebhaften, sehr forderndem 1 Jährigen und keiner konnte mir helfen, da meine Schwester sich um ihren Mann und meine Mutter sich um meinen Vater kümmern musste. Zu dem Zeitpunkt hatte ich nur noch gehofft die Geburt bald hinter mir zu haben und aus mehreren Gründen planten wir dann einen weiteren Kaiserschnitt Ende September.
Die Geburt verlief an sich ähnlich wie bei Fynn, doch diesmal stoppte mir ganz kurz das Herz weil ich so erschrak, als der Arzt plötzlich meinte sie steckt fest… ich dachte nur jetzt kommt es, jetzt werden meine Ängste wahr und es ist auch noch etwas mit meinem Baby… Zum Glück war es nur ein kurzer Schreckmomemt und sie wurde gesund auf die Welt gebracht.
Ich hatte mir vorher schon eingeschworen das ich mich sofort wieder mobilisieren wollte und schnellstmöglich raus aus dem Krankenhaus. Besuche von meiner Familie hatte ich zum Großteil abgelehnt, da es mir wichtiger war das mein Mann sich um Fynn kümmert, der mich nicht im Krankenhaus sehen sollte, und meine Mutter und Schwester lieber meinen Vater im anderen Krankenhaus besuchen sollten.
Es könnte alles viel schlimmer sein. Versuchte ich mir nach wie vor immer wieder zu sagen.
Das verlief auch ganz gut, aber meine Kleine war zu leicht und hat nur geschrien, aber nicht getrunken und nahm dann auch noch stark ab… das wäre fast problematisch geworden, aber dazu vielleicht ein anderes Mal mehr. Ich tat einfach alles dafür das wir schnell nach Hause durften und so konnte ich dann doch schon nach einem Wochenende die Klinik verlassen.
Das Wochenbett, wenn man das mit Kleinkind überhaupt so nennen kann, war dann aber alles andere als erholsam. Es stand so viel an, ich war überfordert, wahrscheinlich sogar depressiv und habe irgendwie keine richtige Verbindung zu meiner Tochter Fiona herstellen können. Ich habe täglich geheult, weil mir alles zu viel war, weil ich Schuldgefühle gegenüber Fynn hatte, weil ich die Kleine irgendwie als „Störfaktor“ empfand… und dann war sie auch das ganze Gegenteil von ihrem Bruder, der die ganzen ersten Wochen nur geschlafen hat … sie war immer nur am schreien.
Ich bekam richtige Ängste, wie ich das mit Baby und Kleinkind allein schaffen sollte, wenn mein Mann dann wieder arbeiten gehen würde.
Aber tatsächlich wurde es allein mit beiden sogar besser. Ich erholte mich langsam von diesen schweren Gefühlen, beschloss abzustillen, was mir meinen Alltag enorm erleichterte und langsam wuchs auch die Liebe zu Fiona, auch wenn ich widerrum ihr gegenüber Schuldgefühle entwickelte, weil ich anfangs solche Probleme mit ihr hatte und mir vorwarf, ihr keine gute Mutter zu sein.
Sowie es hier bei mir bergauf ging, ging es mit meinem Vater enorm bergab. Er wurde immer dünner, war mittlerweile wochenlang im Krankenhaus, es entwickelten sich immer mehr Folge-Krankheiten und ein paar, die wir wohl einfach nicht bemerkt haben oder bemerken wollten, waren in einem so schlimmen Stadion, das es schon zu befürchten stand, ob er Weihnachten dieses Jahr überhaupt erlebt.
Wir waren immer eine Familie mit wenigen Schicksalsschlägen. In meinem ganzen Leben ist niemand gestorben, der mir wirklich Nahe stand und auch so hatten wir immer Glück, was Krankheiten und dergleichen angeht. 2023 will das wohl wieder aufholen und erstmalig drehen sich meine Gedanken immer wieder um den Tod. Nicht nur um den eigenen, das hat mir ja schon immer Ängste bereitet… sondern um den von geliebten Menschen.
Und seitdem ich selbst Mutter bin, sind sowieso schon so unglaublich viele Ängste dazu gekommen. Es stimmt, das man sein Herz als Mutter plötzlich außerhalb seiner Brust trägt. Man will sie vor allem beschützen, vor jedem Leid, jedem Verlust.
Diese Woche ist hier bei uns ein Schulbus verunglückt und ein 10 jähriges Kind dabei gestorben. Der selbe Bus, in dem meine 11 jährige Nichte mitfährt. Das hat mir so wehgetan das zu lesen, ich muss immer wieder an die Eltern des Kindes denken und wie sie mit diesem Schmerz leben und umgehen… Ich kann garnicht in Worte fassen welche Gefühle und Gedanken das in mir ausgelöst hat.
Ja, der Tod gehört zum Leben. Und ja, wahrscheinlich geht das Leben weiter.
Aber auf welche Art?
Ich sage mir nun nichtmehr „es könnte schlimmer sein.“ Sicherlich kann es noch viel schlimmer sein. Aber das ist wie mit unserem Nachbarn, der immer alle Mitglieder meiner Famile mit einem „Na, alles gut?“ begrüßte. Nachdem schon der Bruder meines Schwagers an Krebs verstarb, mein Vater die ersten Male mit dem Notarzt ins Krankenhaus geliefert wurde und wir aufhörten, mit dem obligatorischen „muss ja“ zu antworten, verschwand diese Frage schnell aus seinem Reportoir – und mittlerweile fragt schon fast überhaupt niemand mehr.
Dieses Jahr hat mich in vielerlei Hinsicht zum Denken bewegt und mich viele Tränen gekostet. Und das wird es wohl auch weiterhin… aber auch dazu möchte ich, wenn ich kann, gerne noch weitere Beiträge schreiben. Aber dieser hier endet erstmal mit einem seltsamen Gefühl im Bauch.
2023, du bist noch nicht ganz vorbei, aber bitte sei die verbleibenden Wochen gut zu uns.